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Ich führe Buch…

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Und dann sitzt Du vor den Fragen des Fernlehrers und grübelst, wie Du die Aufgabe am besten bewerkstelligst. Das Thema Tagebuch schreiben ist mir ja nicht fremd, aber darüber schreiben, wie ich mein Tagebuch führe? Zum ersten Mal denke ich bewusst darüber nach wie und warum ich schreibe. Bedeutender ist noch die Frage, für wen. Schreibe ich nur für mich oder windet sich in meinen Gedanken bereits die Idee irgendwann etwas zu veröffentlichen? Ich adressiere es jedenfalls an jemanden. Jemanden, den ich an meinen Gedanken und Erlebnissen teilhaben lassen möchte. Ja, bei näherer Betrachtung des bisher Geschriebenen, gehe ich davon aus, dass ich für einen Leser schreibe. Und sei es nur mein Ich in vielleicht 20 oder 30 Jahren.

In den letzten Wochen und Monaten haben sich viele kleine Notizbücher gefüllt. Ohne die Möglichkeit zu schreiben, alles festzuhalten, würde es in meinem Kopf wohl implodieren. Vor allem hat es doch den Vorteil, dass beim Schreiben vieles klarer wird oder ich erreiche einen nötigen Abstand zu dem, was mich in diesen Momenten übermannen will. Schreiben ist Therapie. Schreiben ist Bewusstsein und Bewusstwerden meiner Stärken und Schwächen, meiner Fortschritte, auch meiner Rückschritte, aber vor allem meiner Gefühle. Wenn ich mich an meine ersten Schreibversuche in Tagebuchform erinnere, wird mir bewusst, dass ich dort niemals hätte das beschreiben können, was mich beschäftigte. So schrieb ich über das Wetter, die Leute, die Schule – alles so sehr von Oberflächlichkeit belegt, wie man es mit sieben oder acht Jahren nur äußern kann. Heute, mit einer Fülle an mir zur Verfügung stehenden Wörtern, würde ich die Zeit beschreiben. Welche Zeit? Die Zeit. Die Zeit des Heranwachsens. Die Zeit, in der ich begann zu verstehen und zu sehen und zu hören. Heute denke ich blauäugig, ich hätte mir Mut anschreiben können. Hätte mir das Schreiben als Kind auch beim Bewusstwerden helfen können?

Die Qualität des Tagebuchschreibens ändert sich mit dem Alter. So viel steht fest. Beschrieb ich als Teenie – wie es erwartet wurde – die ersten Flirts mit dem anderen Geschlecht, wer auf wen stand und wer sich von wem trennte, füllten als Volljährige eher Ängste und Sorgen, aber auch Entwicklungen von meinem Sohn viele Tagebücher.

Das Tagebuch schreiben wurde mehr und mehr zu meinem Instrument, um mich zu sammeln. Die Verstecke wurden überlegter gewählt. Zu diesem Zeitpunkt war es nur für den Eigenbedarf bestimmt. Mein Innerstes konnte und wollte ich niemand preisgeben. Kannst du niemandem vertrauen, versuche dir selbst zu vertrauen.

Inzwischen füllen meine Tagebücher viele kleine Alltags-Anekdoten. Als schmunzelhaftes betitelte es mein Sohn vor einiger Zeit mal. Meine Art ein Tagebuch zu führen, befindet sich gerade wieder in Umbruch. Es gibt Einträge, die ich mit der Gewissheit schreibe, dass sie verschiedene Leser zu Gesicht bekommen. Andere Einträge sind nach wie vor dafür da meine Gedanken zu ordnen – oder auch abzulegen. Es wäre an der Zeit vor allem das Schreiben mal zu ordnen. Ein Tagebuch um Ideen festzuhalten (und die gibt es zuhauf), ein weiteres für einen Leser um mein Denken und mein Innerstes begreiflich zu machen und eines, das so ist wie es sein soll – mein Tagebuch. Ich möchte schreiben können, solange es Worte gibt. Irgendwann sehe ich mich vor einem Regal voller Bücher und möchte sagen: das ist mein Leben. Mein Leben in 200 Bänden – oder mehr…

* Einsendeaufgabe fürs Studium


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